2016er Silvaner Spätlese lieblich
Braun Karl
Tolle, vollmundige Spätlese mit hochreifer, gelber Frucht nach Birne und "erdiger", silvanertypischer Art.
Prämierung: Berliner Wein Trophy Gold
Verkostung durch unseren Weinfachberater Christian Büttner:
Der Mensch braucht Kategorien und klare Zuordnungen. Das verleiht Sicherheit und Orientierung. So weit, so gut. Damit kann ich heute aber leider nicht dienen.
Denn der heute von mir vorgestellte Wein ist in gewisser Weise ein Grenzgänger.
Lassen Sie uns den Wein versuchsweise in eine der vier Haupt-Kategorien des Internationalen Preises des Silvaner Forums einordnen:
Die Rohdaten lauten: 14,5 % vol. Alkohol, 32,5 g/l Restzucker und 6,8 g/l Säure, wobei der Säurewert keine Relevanz für die Zuordnung hat. Der Alkohol- und Restzuckergehalt hingegen schon.
Kategorie 1: Basic
Leichte, frische Silvaner mit max. 12,5 % vol. Gesamtalkohol (Basisweine), nur trockene Weine zugelassen.
Fehlanzeige: Alkoholgehalt zu hoch und nicht trocken.
Kategorie 2: Premium
Hochwertige, kraftvolle Silvaner, z. B. reduktiver Ausbau im Edelstahl oder im großen Holzfass mit ausgeprägter Sortenstruktur. In dieser Kategorie gibt es keine Jahrgangsbeschränkung.
Das Geschmacksprofil ist trocken (max. 9 g/l Restzucker).
Ebenfalls Fehlanzeige: Kommt schon eher hin, aber viel zu hoher Restzuckergehalt.
Kategorie 3: Solitär
Individuelle, herausfordernde Silvaner mit Reifepotenzial; solitär durch Ausbau im Barrique, Tonneau, Holz, Kvevri, Beton, Maischegärung, BSA, Sur Lie etc.
In dieser Kategorie gibt es keine Jahrgangsbeschränkung.
Das Geschmacksprofil ist trocken (max. 9 g/l Restzucker).
Fehlanzeige: siehe Begründung Kategorie 2.
Kategorie 4: Nobel
Edelsüße Silvaner-Dessertweine.
Hmm, gefühlsmäßig würde ich sagen: Wir nähern uns der Sache so langsam an. Aber um einen klassischen Dessertwein oder gar edelsüßen Wein handelt es sich eben auch nicht. Die letztjährigen Preisträger gehörten allesamt zu den Prädikatsstufen Beerenauslese und Trockenbeerenauslese.
Jetzt dürfte auch klar sein, weshalb der Wein von mir eingangs als Grenzgänger bezeichnet wurde. Marco Kestler, seines Zeichens Inhaber des Weinguts und verantwortlich zeichnender Winzer, hat gewiss tiefgestapelt. Eigentlich handelt es sich um eine dicke Auslese. Aber der Wein ist relativ weit vergoren und weist zu wenig Restsüße auf, um als edelsüß durchzugehen. Aber nichtsdestotrotz: Was für ein Wein! Silvaner pur. In der Nase ganz viel reife Birne, Rosinen, getrocknete Heublumen, süße Blütendüfte und auch etwas Honig. Ein wahres Fest für die Sinne.
Am Gaumen präsentiert er sich dann bei aller Kraft und Opulenz, welche er besitzt, überraschend trinkig. Zugegeben, die 14,5 % vol. Alkohol kann er nicht zur Gänze verbergen. Aber das sei ihm verziehen. Ein echtes „Maul voll Wein“, wie man in Franken so schön sagt.
Im langen Nachhall gesellen sich zu den fruchtigen Birnennoten und der feinen Honigsüße zarte Lakritznoten, welche die Komplexität noch steigern.
Das letzte Mal habe ich solch einen tollen Silvaner in dieser Stilistik aus dem Jahrgang 1997 probiert. Dieser wurde damals völlig zu Recht mit dem Bayerischen Staatsehrenpreis ausgezeichnet. Den nach meinem Geschmack legitimen Nachfolger habe ich Ihnen hier vorgestellt. Zumal es sich um ein ausgesprochenes Schnäppchen handelt. Ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis vermag ich mir nur schwerlich vorzustellen.